Am 20. Mai 1747 begann an Bord der HMS Salisbury unter Schiffsarzt James Lind einer der ersten klinischen Versuche der Medizingeschichte. James Lind fand hierbei die Heilung für Skorbut doch zum Leidwesen vieler Seefahrer verkannte er die Bedeutsamkeit seiner Entdeckung.
Skorbut, eine Geschichte des Mangels
Der Skorbut war für Jahrhunderte der wahre Schrecken der Seefahrer auf ihren monatelangen Reisen. Es waren bereits die alten Ägypter, die vor 3500 Jahren in ihren Papyrusschriftrollen die Symptome des Skorbuts beschrieben. Etwa 1100 Jahre später würde Hippokrates den Skorbut als eigene Krankheit identifizieren. Seit 1932 ist bekannt, dass Skorbut die Folge eines Vitamin C Mangels ist. Somit ist die Prävention und Behandlung der Krankheit, durch eine einfache Gabe von ausreichend Vitamin C, für uns kein nennenswertes Problem mehr. Im Europa der Antike und des Mittelalters war der Skorbut in erster Linie eine Krankheit der armen Bauern und Leibeigenen während der Wintermonate. Ihre Kost, die überwiegend aus Brot und Getreidebrei bestand, enthielt oftmals nur unzureichende Mengen an Vitamin C wodurch sich nach etwa ein bis drei Monaten die typischen Symptome zeigten. Beginnend mit Müdigkeit und Erschöpfung kam es später unter anderem zu Zahnfleischbluten, Durchfall, Knochenschmerzen und Fieber. Ohne Behandlung, das hieß ohne ausreichende Zufuhr von Vitamin C über die Nahrung, führte der Skorbut nach einigen Monaten unweigerlich zum Tod.
Mit Beginn der Neuzeit hatten sich Schiffbau- und Navigationstechnologie soweit verbessert, dass monatelange Schiffsreisen auf hoher See möglich wurden: das Zeitalter der Entdeckungen hatte begonnen. Das wichtigste Kriterium für Proviant an Bord war die Haltbarkeit und somit keine der klassischen Eigenschaften von Obst und Gemüse. Die Verpflegung der Mannschaft bestand daher in erster Linie aus Zwieback, Pökel- oder Trockenfisch und Fleisch, Käse sowie verschiedenster alkoholische Getränke. Keines dieser Lebensmittel war besonders vitaminreich und dementsprechend war Skorbut ein konstanter Begleiter bei längeren Seereisen in der frühen Neuzeit. Schätzungen über die Anzahl der an Skorbut verstorbenen Matrosen zwischen 1500 und 1700 belaufen sich auf zwei Millionen. James Lind, der Protagonist dieser Geschichte beschrieb 1753 eindrücklich den Effekt der Skorbut auf die Kampfkraft der Royal Navy:
“Armies have been supposed to lose more of their men by sickness, than by the sword. But this observation has been much more verified in our fleets and squadrons; where the scurvy alone, during the last war, proved a more destructive enemy, and cut off more valuable lives, than the united efforts of the French and Spanish arms.”
(„Es wird angenommen, dass Armeen mehr Männer durch Krankheit als durch das Schwert verlieren. Diese Beobachtung hat sich bewahrheitet in unseren Flotten und Geschwadern, in denen der Skorbut alleine während des letzten Krieges mehr wertvolle Leben genommen hat, als die vereinigten Anstrengungen der französischen und spanischen Waffen und sich so als der zerstörerischere Gegner erwies.“)
Die erste klinische Studie
Medizinischer Konsens im 16. bis 18. Jahrhundert war, dass der Skorbut eine Folge schlechter Ernährung und Verdauung sowie der feuchtkalten Bedingungen an Bord sei. Die heilende Wirkung von Früchten und Gemüse wurde über die Jahrhunderte mehrmals entdeckt, vergessen und dann wiederentdeckt. Die Schwierigkeit über Monate auf See stets frisches Obst parat zu haben sowie ein Mangel an Kommunikation über derartige Erkenntnisse verhinderte, dass derartige Vorschläge ernst genommen wurden. James Lind selbst glaubte, dass der Skorbut durch Fäulnis im Körper ausgelöst würde. Die ungesunden Verhältnisse an Bord führten laut Lind zu einer fehlerhaften Perspiration und in der Folge zur Ansammlung giftiger und verderblicher Körpersäfte. Er nahm an, dass sich die Krankheit mit Säuren bekämpfen ließe, und startete daher am 20. Mai 1747 als Schiffsarzt der HMS Salisbury die erste systematische klinische Studie der Medizingeschichte. Das Schiff patrouillierte die Biskaya und nach zwei Monaten auf See brach der Skorbut in der Besatzung aus. Lind wählte zwölf skorbutische Matrosen, alle in ähnlicher Verfassung und teilte sie in sechs Zweiergruppen auf. Zusätzlich zu der normalen und für alle identischen Verpflegung, erhielten die Seeleute pro Tag außerdem entweder zwei Pint Cider, 25 Tropfen Schwefelsäure, sechs Löffel Essig, ein halbes Pint Meerwasser, zwei Orangen und eine Zitrone oder eine muskathaltige Gewürzpaste. Am sechsten Tag nach Beginn des Experiments war einer der Matrosen, der Orangen und Zitronen bekommen hatte, wieder arbeitsfähig, während der andere fast wieder erholt war. Die Matrosen der Cidergruppe waren ebenfalls auf dem Weg der Besserung, wenn auch nicht so schnell. Alle anderen Nahrungsergänzungen waren, wenig überraschend für uns, ohne erkennbaren Effekt.
Falsche Schlussfolgerungen
1753 veröffentlichte Lind seine Resultate in seinem Werk A treatise of the scurvy. Das Buch wurde weitgehend ignoriert, nicht zuletzt weil Lind aus der Studie nicht die Schlussfolgerung zog, die uns so offensichtlich vorkommt. Anstatt Zitrusfrüchte als DIE Behandlung und Präventionsmethode für den Skorbut zu erkennen, betrachtete er sie eher als Notlösung. Ähnlich wie die meisten anderen Ärzte der Zeit empfahl er daher frische Luft und sportliche Betätigung, um der Krankheit vorzubeugen. Erst 1794, mehr als 40 Jahre nach Linds Expertiment, schlug Konteradmiral Gardner vor, dass bei der 23-wöchigen Indienreise der HMS Suffulk jedem der Matrosen täglich Zitronensaft verabreicht werde. Als nach Ankunft des Schiffes bekannt wurde, dass keiner der Seemänner an Bord an Skorbut erkrankt war, befahl die Admiralität die Mitnahme von Zitronensaft auf allen Schiffen der Royal Navy.
James Linds Geschichte sollte uns, die wir in der Wissenschaft arbeiten, an die Gefahr erinnern, die von unseren eigenen Erwartungen ausgeht. Linds vorgefassten und tragischerweise fehlerhaften Vorstellungen über Skorbut und seine Ursachen verhinderten, dass er die Bedeutung seines Experiments erkannte und so mussten noch viele tausend weitere Seeleute sterben bevor der Skorbut endlich gebändigt war.
Bildnachweis
Dem Skorbut erlegene Niederländer auf Spitzbergen. Kupferstich von 1865 aus dem Reise-Journal ""Le Tour du Monde"".