Die Entdeckung des Insulins

Am 27. Juli 1921 gelang Frederick Banting und Charles Best erstmals die Isolierung von Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Hunden. Hiermit stand der Weg offen für die Etablierung der ersten wirklich wirksamen Behandlung des Diabetes mellitus.

Ein antikes Leiden

Diabetes in seinen verschiedenen Varianten fasziniert Mediziner bzw. Heiler schon seit mehr als 3000 Jahren. Die erste bekannte Erwähnung einer dem Diabetes ähnlichen Erkrankung findet sich in einem altägyptischen Manuskript (Ebers Papyrus) aus der Anfangszeit des Neuen Reichs etwa 1530 v Chr. Der unbekannte Autor beschreibt darin eine Krankheit, die sich durch „Harn im Überfluss“ auszeichnet und durchaus Diabetes sein könnte. Indische Ärzte nannten Diabetes im etwa gleichen Zeitraum “Madhumeha” (Honigharn), nachdem sie beobachtet hatten, dass Fliegen und Ameisen durch den Urin der Diabetespatienten angelockt wurden. Etwa 230 v. Chr. prägte Apollonius von Memphis den Begriff Diabetes (von altgriechisch: διαβητης = Aus-/Durchfluss), aber erst im 2. Jahrhundert nach Christus durch die Arbeit des griechischen Arztes Aretaios von Kappadokien begannen Ärzte zwischen verschiedenen Varianten des Diabetes zu unterscheiden. Zu dieser Zeit, wie auch für die folgenden 1700 Jahre, war Diabetes ein grausames Todesurteil, ein Umstand, für den Aretaios sehr eindringliche Worte fand:

”Das Leiden, das Diabetes heißt, ist ein seltsames, aber glücklicherweise ziemlich seltenes. Es besteht aus einer Verflüssigung des Fleischs und der Knochen zu Urin. […]Weiter ist das Leben für einen Patienten ermüdend und voller Schmerzen. Der Wunsch zu trinken wird immer stärker, doch ganz gleich welche Menge man trinkt, es kommt nie zur Befriedigung und es geht mehr Urin fort, als man trinkt. […] Die Betroffenen verzweifeln an allem, der Tod tritt kurzfristig innerhalb brennender Trockenheit und Durst ein, als wenn durch brennendes Feuer verursacht.“

Der persische Universalgelehrte Ibn Sina (Avicenna) lieferte eine detaillierte Beschreibung des Diabetes in seinem monumentalen Werk „Der Kanon der Medizin“ (al Qanun fi at-Tibb), doch wie alle vorherigen und für viele Jahrhunderte folgenden Mediziner, vermochte er keine wirksame Behandlung vorzuschlagen.

Neue Erkenntnisse

Die moderne Ära der Diabetologie begann im England des 17. Jahrhunderts. Thomas Willis, ein Anatom und Neurologe (er erfand sogar den Begriff Neurologie) widmete Diabetes ein Kapitel seines Werks Pharmaceutice rationalis, in dem er erstmals eindeutig die Unterschiede von Diabetes mellitus und Diabetes insipidus aufzeigte. Aufgrund seiner wegweisenden Beobachtungen und seiner einflussreichen Leserschaft war Diabetes mellitus lange Zeit auch als Willis’s disease bekannt. Im Jahre 1776 entdeckte Michael Dobson dann sowohl die Erhöhung des Blutzuckers (Hyperglykämie) bei Diabetes, als auch, dass die süße Substanz im Urin der Patienten Zucker ist. Dieser Zucker wurde etwa 40 Jahre später als Glucose identifiziert und mit der Erfindung der Fehling Probe und anderer quantitativer Zuckernachweise Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Blutzuckermessung zu einem wichtigem diagnostischen Mittel der Diabetologen.

Die Rolle des Pankreas bei Diabetes

Ende des 19. Jahrhunderts gelang es Oskar Minkowski und Joseph von Mering ein verlässliches operatives Verfahren zu entwickeln, mit dem das Pankreas von Hunden komplett entfernt werden konnte. Die operierten Hunde entwickelten bereits innerhalb der ersten 1-2 Tage die schwere Form des Diabetes, mit Symptomen wie sie auch im menschlichen Patienten beobachtet werden können. Dies war insofern überraschend, als das die damalige wissenschaftliche/medizinische Lehrmeinung besagte, dass eine Pankreatektomie keine oder kaum signifikante Folgen habe und die Funktion der Drüse durch andere Organe übernommen werden würde. Minkowski und von Mering erklärten dazu in ihrer 1890er Publikation, dass die Ärzte und Forscher, die die durchaus schwierige Operation zuvor versucht hatten, entweder nicht das ganze Pankreas entfernt hatten bzw. die Symptome des Diabetes nicht als solche erkannten. Ein weiterer Faktor war die geringe Überlebensrate der diabetischen d.h. vollständig pankreatektomierten Hunde, da ihre Wunden deutlich schlechter heilten und sie zudem deutlich anfälliger für Infektionen waren. Im Licht dieser Ergebnisse entwickelte Minkowski die Hypothese, dass der Pankreas neben seiner bereits bekannten Funktion - der Produktion von Verdauungssekreten – auch eine für den Zuckerstoffwechsel entscheidende Substanz ins Blut sekretiert. 1893 vermutete Gustave- Edouard Laguesse, dass dieser Stoff in den 1869 entdeckten Langerhansschen Inseln produziert wird und 1909 benannte Jean de Mayer die bis dahin noch nicht entdeckte, Blutzucker-regulierende Substanz Insulin.

In den Jahren nach von Merings und Minkowskis Entdeckung des induzierten Diabetes mellitus versuchten sich viele Forscher an der Isolierung dieser unbekannten Substanz, doch die Verdauungsenzyme im Pankreassaft degradierten das Insulin in den meisten Fällen. Der deutsche Arzt Georg Zülzer war vermutlich der erste, der ein diabetisches Versuchstier erfolgreich mit Pankreasextrakt behandelte, doch Versuche am Menschen scheiterten. Andere ähnliche Experimente waren zwar prinzipiell erfolgreich, aber die behandelten Tiere starben an Hypoglykämie, woraufhin der Gedanke an weitere Versuche verworfen wurde. Zu dieser Zeit bestand die Standardtherapie für Diabetiker (und auch die einzige halbwegs wirksame) aus einer extrem eingeschränkten Diät. Viele der so Therapierten verhungerten und alle anderen starben innerhalb weniger Monate bis Jahre an anderen Symptomen. Für die Diabetiker hatte sich seit der Zeit des Ebers Papyrus nichts geändert, geschweige denn verbessert.

Die Entdeckung des Insulins

Der kanadische Chirurg Frederick Banting, ein Veteran des ersten Weltkriegs mit lebhaftem Interesse für Diabetes, entwickelte 1920 eine Methode für die Produktion von Pankreasextrakten ohne die störenden Verdauungsenzyme. Durch Verschluss der Pankreasgänge des Hundes, konnte er die Verdauungssekret produzierenden Azini abtöten, ohne die Langerhansschen Inseln zu beschädigen. Er fand Unterstützung für seine Idee bei John J.R. MacLeod, Professor für Physiologie an der Universität von Toronto, der ihm im Sommer 1921 Laborräume und einen Assistenten, den Physiologiestudenten Charles Best, zur Verfügung stellte. Am 27. Juli 1921, nach wenigen Wochen Arbeit, isolierten Banting und Best ihren ersten Pankreasextrakt und verabreichten ihn sogleich einem pankreatektomierten Hund. Der Blutzuckerspiegel nahm daraufhin deutlich ab und der Allgemeinzustand des Hundes besserte sich unter wiederholter Gabe in den folgenden Tagen merklich. Nach der Akquise des Biochemikers James Collip verfeinerte die Gruppe ihre Extraktionsmethode weiter und erkannte zudem, dass die Pankreata von Kälberföten deutlich besser für die Isolierung von Insulin geeignet sind als die adulter Hunde, da Föten noch keine Verdauungsenzyme produzieren. Am 23. Januar 1922 testete Banting das verbesserte Extrakt an dem 14-jährigen Diabetiker Leonard Thompson. Der Blutzucker des zu dem Zeitpunkt nur 29 kg schweren Jungen sank deutlich und seine Ketoazidose verschwand nach einigen Tagen Behandlung. Eine medizinische Sensation. Banting und MacLeod erhielten für ihre Verdienste bereits 1923 den Medizinnobelpreis, doch zu Bantings und MacLeods Enttäuschung wurde Bests und Collips Arbeit nicht gewürdigt, sodass sie sich entschieden zumindest das Preisgeld mit ihren Kollegen zu teilen. Innerhalb weniger Jahre stieg die Insulinproduktion soweit an, dass fast alle Diabetiker in der westlichen Welt versorgt werden konnten, ein Erfolg, der in großem Maße Bantings und Bests Entscheidung zu verdanken ist auf Lizenzgebühren für ihr Patent zu verzichten.

Weitere Literatur zu diesem Thema

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Deutsch:

Bildnachweis

Sir Frederick Banting (rechts) und Dr. Charles Best mit einem ihrer Versuchshunde (Photo: Library and Archives Canada/ cropped and levels adjusted).

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