Die bekannteste Variante der „Lipid-basierten Arzneimittelverabreichungssysteme“ (engl.: Lipid-based Drug Delivery Systems, kurz: LBDDS) stellen die sogenannten Lipid-Nanopartikel (LNP) dar. Wie bereits im ersten Teil unserer kleinen Reihe rund um das Thema LBDDS erwähnt, werden LNP vor allem für die Verpackung und Verabreichung von mRNA-basierten Arzneimitteln verwendet. Damit mRNA-Arzneimittel stabil und sicher zu ihrem Zielort gelangen können, müssen sie so verpackt werden, dass sie einerseits vor dem Abbau durch zahlreich vorhandene RNasen geschützt sind, und dass ihnen andererseits die Aufnahme in die Zielzellen ermöglicht wird. Genau diese Eigenschaften bieten LNP!
Im zweiten Teil unserer LBDDS-Blogreihe wird zunächst ein Überblick über die Entwicklungshistorie der LNP und über den „Endosomal Escape“ – ein entscheidender Punkt auf dem Transportweg von LNP – gegeben. Im Anschluss gehen wir auf die möglichen medizinischen Einsatzgebiete von LNP ein – bis hin zur SARS-CoV-2-Impfung!
Diese Themen warten auf Sie:
1) Ein Blick auf die Geschichte: Die Entwicklung von Lipid-Nanopartikeln
2) Angekommen in der Zielzelle: Und jetzt?
3) Anwendungsmöglichkeiten von Lipid-Nanopartikeln
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Ein Blick auf die Geschichte: Die Entwicklung von Lipid-Nanopartikeln
LNP erlangten durch die COVID-19-Pandemie große Bekanntheit. Tatsächlich wird bereits seit fast 4 Jahrzehnten an LNP und deren Anwendungsmöglichkeiten geforscht, und der Erfolg der mRNA-basierten COVID-19-Impfstoffe wäre ohne diese jahrelange Forschung nicht möglich gewesen (Abb. 1). Der erste Meilenstein auf dem Weg hin zu mRNA-basierten Impfstoffen war die Entdeckung der mRNA und ihrer Funktion 1961 [1]. Damals dachte wahrscheinlich noch niemand an einen möglichen Einsatz bei Impfungen. Fast 30 Jahre später, 1989, wurden die ersten kationischen LNP-mRNA-Formulierungen entwickelt [2], und vier weitere Jahre später folgte die Entwicklung von Liposomen-mRNA-Formulierungen für den Einsatz als Grippeimpfstoff [3].
Abbildung 1: Zeitspanne einiger Meilensteine der mRNA- und LNP-Forschung. COVID-19, coronavirus disease 2019; EMA, European Medicines Agency; FDA, United States Food and Drug Administration; LNP, Lipid-Nanopartikel. Modifiziert nach [4].
Seit Mitte der 90er-Jahre wurden diverse LNP, die z. B. Amphotericin B oder Vincristin einkapselten, hergestellt und von der FDA (U.S. Food and Drug Administration) zugelassen [5]. Parallel wurden zahlreiche klinische Studien durchgeführt, die den Einsatz von LNP-mRNA-Formulierungen gegen unterschiedliche Krankheiten wie Krebs oder Influenza testeten (Abb. 1). Hierzu zählen natürlich auch klinische Untersuchungen zu COVID-19-Impfstoffen, und 2020 erhielten die beiden COVID-19-Vakzine „mRNA-1273“ und „BNT162b“ von den Behörden in mehreren Ländern die Zulassung.
Ein weiterer Meilenstein der jüngeren Vergangenheit ist die Entwicklung und Zulassung des LNP-basierten Arzneistoffes „Onpattro“ [5]. Bei dieser Arznei schließen die LNP sogenannte siRNA (engl.: small interfering RNA) ein, mit deren Hilfe Krankheiten über RNA-Interferenz („Gen-Stilllegung“) behandelt werden sollen. „Onpattro“ stellt damit den ersten zugelassenen Vertreter dieser neuen Wirkstoffklasse dar.
Angekommen in der Zielzelle: Und jetzt?
Damit mRNA-basierte Arzneien ihre therapeutischen Effekte bewirken können, müssen die LNP, welche die mRNA einkapseln, die entsprechenden Zielzellen unbeschadet erreichen [6, 7]. Außerdem muss aus der mRNA genügend Protein-Material generiert werden, um die gewünschte Wirkung zu erreichen. Ein kritischer Schritt auf dem Weg von LNP ist der sogenannte „Endosomal Escape“ (Abb. 2). Nachdem die LNP (mit der enthaltenen mRNA) das Zielgewebe erreicht haben, müssen sie in die Zielzellen gelangen, was über verschiedene endozytotische Prozesse geschehen kann. Nach der Internalisierung durch die Zielzelle befinden sich die LNP im Endosom, aus welchem sie „entkommen“ müssen (daher „Endosomal Escape“). Erst nach diesem Schritt wird die mRNA freigesetzt, wodurch sie im Cytoplasma der Zelle vorliegt und in Protein translatiert werden kann (Abb. 2) [6, 7].
Abbildung 2: Schematische Darstellung des "Endosomal Escape". Nach Internalisierung des LNP mit der eingekapselten mRNA befindet sich der LNP im Endosom. Durch den Endosomal Escape wird der LNP freigesetzt und die mRNA ins Cytoplasma entlassen. Die mRNA wird danach in Protein (transmembran, sekretorisch oder intrazellulär) translatiert. Modifiziert nach [4].
Dieser Schritt ist von großer Bedeutung, jedoch schafft nur ein kleiner Anteil der LNP tatsächlich den Endosomal Escape [8]. Der Mechanismus ist nicht noch nicht gänzlich verstanden. Es wird vermutet, dass die elektrostatische Interaktion positiv geladener Lipide der LNP mit der negativ geladenen Endosomen-Membran dazu führt, dass mRNA-Moleküle nach und nach ins Cytoplasma gelangen [6, 7]. Daher kann die Zusammensetzung und die Beschaffenheit der Lipide den Endosomal Escape beeinflussen.
Anwendungsmöglichkeiten von Lipid-Nanopartikeln
Die Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten von LNP wurden in den letzten Jahrzehnten in zahlreichen klinischen und präklinischen Studien untersucht. Dies war unter anderem der Grund für die schnelle Entwicklung und Anwendung der LNP-mRNA-basierten COVID-19-Impfstoffe. Beispielsweise wurde mRNA-1273 bereits einen Monat nachdem die Genom-Sequenz von SARS-CoV-2 verfügbar war produziert [9, 10]. Die COVID-19-Impfstoffe sind jedoch nur ein Beispiel von vielen, bei denen LNP-mRNA-Formulierungen Anwendung zur Prävention von Infektionskrankheiten finden (sollen).
Aufgrund der einzigartigen Eigenschaften von LNP und mRNA sind sie bestens für den Einsatz in Impfstoffen geeignet. mRNA ist nicht-infektiös, kann nicht ins Genom integrieren und kann für eine große Bandbreite an Antigenen kodieren [9-11]. Darüber hinaus können mehrere mRNAs, die für verschiedene Antigene kodieren, in einem LNP kombiniert werden. Durch ihre kurze Produktionszeit sind LNP-mRNA-basierte Impfstoffe prädestiniert zum Einsatz gegen neu aufkommende Pathogene. Neben der Verwendung bei der COVID-19-Pandemie werden LNP-mRNA-Formulierungen unter anderem auch für Grippe-, Zika-, Rabies- und Ebola-Virus-Impfstoffe getestet [siehe 4]. Außerdem deuten Untersuchungen auch auf eine mögliche Anwendung bei bakteriellen [12] und parasitären [13] Infektionen hin.
LNP-mRNA-basierte Impfstoffe könnten auch bei der Bekämpfung verschiedener Krebsarten helfen und zahlreiche Kandidaten werden aktuell in klinischen Studien untersucht [siehe 4]. Hierzu zählen beispielsweise Vakzine gegen Melanome oder Gastrointestinal-Krebs. Dabei ist ein Ansatz die Verwendung sogenannter „Neoantigene“. Diese sind in der Regel Tumor-spezifisch und weisen eine hohe Immunogenität auf. Ferner sind sie oftmals unterschiedlich zwischen verschiedenen Patienten [7, 11]. Diese Charakteristika erlauben die Entwicklung von personalisierten Impfstoffen. Viele solcher personalisierten Krebs-Vakzine, die auf LNP-mRNA-Formulierungen basieren, befinden sich aktuell in der klinischen Prüfung.
Ein weiteres Anwendungsgebiet für LNP-mRNA-Impfstoffe sind genetischen Erkrankungen. Hierbei liegt der Fokus aktuell insbesondere auf angeborenen Stoffwechselkrankheiten, bei denen ein Schlüsselenzym durch eine Mutation seine Funktion nicht korrekt oder gar nicht mehr ausüben kann. Dies führt zur Akkumulation bestimmter Stoffwechselprodukte, was im schlimmsten Fall zum Tod führen können [14]. Ein Weg zur Behandlung solcher Krankheiten ist der Zusatz von therapeutischen Proteinen, welcher allerdings keine langfristige Heilung bringt. Alternativ werden LNP-mRNA-basierte Proteinersatztherapien getestet [14]. Diese haben den Vorteil, dass die mRNA im Patienten in das gewünschte Protein – egal ob sekretorisches, intrazelluläres oder Transmembran-Protein – translatiert werden kann. Infolge dessen weist das Protein dieselben posttranslationalen Modifikationen auf, die auch das zu ersetzende Protein hätte.
Die Geschichte zeigt, dass mRNA und LNP vielversprechende Werkzeuge für den Einsatz im Bereich der Impfstoffforschung und der Bekämpfung verschiedener Krankheiten sind. Nicht zuletzt die SARS-CoV-2-Pandemie hat bewiesen, wie wichtig die stetige Arbeit an solchen neuen Techniken ist. Und die jüngste Entwicklung der LNP-siRNA-Formulierung deutet darauf hin, dass das Potential von Lipid-basierten Arzneimittelverabreichungssystemen noch lange nicht ausgeschöpft ist.
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Quellen
[1] Cobb, M. Who discovered messenger RNA? Curr. Biol. 25, R526–R532 (2015)
[2] Malone, R. W., Felgner, P. L. & Verma, I. M. Cationic liposome- mediated RNA transfection. Proc. Natl Acad. Sci. USA 86, 6077–6081 (1989).
[3] Martinon, F. et al. Induction of virus-specific cytotoxic T lymphocytes in vivo by liposome- entrapped mRNA. Eur. J. Immunol. 23, 1719–1722 (1993).
[4] Hou, X. et al. Lipid nanoparticles for mRNA delivery. Nat. Rev. Mater. 6, 1078–1094 (2021).
[5] Akinc, A. et al. The Onpattro story and the clinical translation of nanomedicines containing nucleic acid-based drugs. Nat. Nanotechnol. 14, 1084–1087 (2019).
[6] Hajj, K. A. & Whitehead, K. A. Tools for translation: non- viral materials for therapeutic mRNA delivery. Nat. Rev. Mater. 2, 17056 (2017).
[7] Kowalski, P. S., Rudra, A., Miao, L. & Anderson, D. G. Delivering the messenger: advances in technologies for therapeutic mRNA delivery. Mol. Ther. 27, 710–728 (2019).
[8] Gilleron, J. et al. Image- based analysis of lipid nanoparticle–mediated siRNA delivery, intracellular trafficking and endosomal escape. Nat. Biotechnol. 31, 638–646 (2013).
[9] Gebre, M. S. et al. Novel approaches for vaccine development. Cell 184, 1589–1603 (2021).
[10] Kim, J., Eygeris, Y., Gupta, M. & Sahay, G. Self- assembled mRNA vaccines. Adv. Drug Deliv. Rev. 170, 83–112 (2021).
[11] Pardi, N., Hogan, M. J., Porter, F. W. & Weissman, D. mRNA vaccines — a new era in vaccinology. Nat. Rev. Drug Discov. 17, 261–279 (2018).
[12] Maruggi, G. et al. Immunogenicity and protective efficacy induced by self- amplifying mRNA vaccines encoding bacterial antigens. Vaccine 35, 361–368 (2017).
[13] Garcia, A. B. et al. Neutralization of the Plasmodiumencoded MIF ortholog confers protective immunity against malaria infection. Nat. Commun. 9, 2714 (2018).
[14] Zhao, W., Hou, X., Vick, O. G. & Dong, Y. RNA delivery biomaterials for the treatment of genetic and rare diseases. Biomaterials 217, 119291 (2019).