ADAR1: „Editor-in-Chief“ der angeborenen Immunantwort

Verfasst von Emily Locke

Während bei Zeitungsverlagen der Chefredakteur, oder im Englischen „Editor-in-Chief“, noch Anpassungen an Texten vor deren Veröffentlichung vornimmt, gibt es auch in der Zelle bestimmte Masterregulatoren, die Veränderungen an der mRNA bewirken können, bevor diese in ein Protein translatiert wird. Ein wichtiger Akteur bei diesem sogenannten RNA-Editing ist das Protein ADAR1 („adenosine deaminase acting on RNA“). Bei ADAR1 handelt es sich um eine RNA-spezifische Adenosin-Desaminase, die die Umwandlung von Adenosin-Nukleosidbausteinen zu Inosin katalysiert [1]. Dieses Enzym kommt in allen Gewebetypen von Wirbeltieren vor und spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Proteinevolution [2]. Darüber hinaus scheint es eine wichtige Funktion bei der angeborenen Immunantwort einzunehmen, weshalb Mutationen im adar1-Gen mit einer Vielzahl von Krankheiten assoziiert sind [3]. Das Protein könnte somit ein vielversprechender Angriffspunkt für verschiedene Therapien sein und wird daher in zahlreichen Forschungsfeldern untersucht.

Diese Themen warten auf Sie:

1) Von A zu I: Wie ADAR1 die RNA editiert

2) ADAR1 als Masterregulator der angeborenen Immunantwort

3) ADAR1: Ein vielversprechendes Target in der Forschung

4) ADAR1 Dual Luciferase Reporter HEK293 Cell Line

5) ADAR1, FLAG-Tag

6) ADAR2 (ADARB1), FLAG-Tag

Jetzt kostenlos für den Biomol-Newsletter anmelden und keinen Blog-Artikel mehr verpassen!

 

Von A zu I: Wie ADAR1 die RNA editiert

ADAR-Enzyme können die Nukleotid-Abfolge von doppelsträngiger RNA (dsRNA) post-transkriptionell verändern. Dazu binden sie an die dsRNA und konvertieren das Nukleosid Adenosin durch Desaminierung in ein Inosin. Bei Inosin handelt es sich um ein seltenes Nukleosid der RNA, welches aus der Purinbase Hypoxanthin und D-Ribose besteht. Die von ADAR1 katalysierte, biochemische Reaktion läuft dabei folgendermaßen ab: Ein aktiviertes Wassermolekül reagiert in einer nukleophilen Substitutionsreaktion mit der Aminogruppe am 6. Kohlenstoffatom eines Adenosins [4]. Dadurch entsteht ein hydratisiertes Intermediat, welches jedoch nach kurzer Zeit zerfällt, da die Aminogruppe des Adenins als Ammoniumion abgeht (Abb. 1).

Das so entstandene Inosin destabilisiert die RNA, da es nicht in gleicher Weise wie Adenosin an das komplementäre Uracil bindet. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit zu Guanin bildet sich stattdessen eine Bindung zu Cytosin, wodurch es zu Codon-Änderungen kommen kann. Diese wiederum führen zu Veränderungen in der Kodierungssequenz von Proteinen sowie zu alternativen transkriptionellen Spleiß-Varianten, und somit schlussendlich zu anderen Proteinfunktionen [1].

ADAR_reaction_new

Abbildung 1: Desaminierung von Adenosin zu Inosin durch ADAR1. ADAR1 katalysiert den Angriff eines Wassermoleküls an der C6-Aminogruppe eines Adenosins, wodurch ein hydratisiertes Intermediat entsteht. Nach kurzer Zeit bildet sich durch den Abgang eines Ammoniumions das Nukleosid Inosin [5].

Die Editierung der RNA durch ADAR1 führt zu einer beträchtlichen Erhöhung der Protein-Diversität, welche für die Organismen lebensnotwendig ist. Viele Proteine können nur auf diese Weise erzeugt werden, darunter beispielsweise der Glutamat-Rezeptor GRIA2, welcher unter anderem essenziell für die neuronale Kommunikation ist [6]. Doch immer mehr Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass ADAR1 neben der Erhöhung der transkriptionellen Diversität ebenfalls eine entscheidende Rolle in der angeborenen Immunantwort und in der Entstehung von Autoimmunkrankheiten spielt.

ADAR1 als Masterregulator der angeborenen Immunantwort

Unser Immunsystem ist darauf spezialisiert, bestimmte molekulare Muster, die auf das Vorhandensein von pathogenen Organismen hinweisen, zu erkennen. Diese sogenannten PAMPs („pathogen-associated molecular patterns“) werden von entsprechenden Rezeptoren, den „pattern recognition receptors“ (PRRs), detektiert, woraufhin die angeborene Immunantwort eingeleitet wird. Zu den möglichen PAMPs gehört unter anderem fremde, doppelsträngige RNA im Zytoplasma, da diese häufig als Intermediat bei der Replikation von Viren entsteht. Da dsRNA in eukaryotischen Zellen eher unüblich ist, schlägt unser Immunsystem beim Erkennen solcher RNA sofort Alarm und signalisiert das Eindringen eines Pathogens [3].

Doch tatsächlich gibt es auch endogene RNA, die doppelsträngige Strukturen ausbilden kann. Dazu gehören zum Beispiel RNAs, die von Retrotransposons transkribiert wurden, oder RNAs aus der mitochondriellen Matrix [3]. Diese RNAs müssten also ebenfalls durch die PRRs wahrgenommen werden und würden damit zu Autoimmunität führen. Dazu kommt es aber normalerweise nicht – doch warum? Wie kann die Zelle zwischen fremder und endogener dsRNA unterscheiden?

Ein Prozess, der bei der Differenzierung eine Rolle zu spielen scheint, ist das RNA-Editing. Durch den von ADAR1 katalysierten Basenaustausch von A zu I kann dsRNA destabilisiert werden, da die Watson-Crick AU Basenpaare durch sogenannte IU „Wobble“-Paare ersetzt werden [7]. Durch diese instabile Basenpaarung geht die zelluläre dsRNA wieder in eine einzelsträngige Struktur über, in welcher sie keine Immunantwort stimuliert. Sobald der Anteil der dsRNA im Zytoplasma jedoch einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, beispielsweise während einer viralen Infektion, wird sie von den PRRs detektiert und entsprechende Abwehrmechanismen werden eingeleitet.

Immer mehr Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Destabilisierung von dsRNA eine entscheidende Funktion bei der Aufrechterhaltung der Selbsttoleranz gegenüber solcher RNA und bei der Verhinderung von Autoimmunität spielt [3]. Ein mutiertes adar1-Gen kann beispielsweise zur Entstehung des Aicardi-Goutières-Syndroms beitragen. Hierbei handelt es sich um eine seltene Erbkrankheit, bei der es zu einer entzündlich bedingten Leukodystrophie kommt [8]. Charakteristisch sind erhöhte IFN-α-Spiegel in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit. Grund hierfür ist unter anderem der Verlust der ADAR1-Proteinfunktion, wodurch dsRNA nicht mehr destabilisiert werden kann. Die daraus resultierende Akkumulation von dsRNA stimuliert die IFN-α-Produktion, obwohl gar keine (virale) Infektion vorliegt, und führt somit zu einer Autoimmunantwort [9]. 

ADAR1: Ein vielversprechendes Target in der Forschung

Nicht zuletzt aufgrund seiner vielfältigen Beteiligung an der Entstehung unterschiedlicher Krankheiten ist ADAR1 für die Wissenschaft ein spannendes Protein. Auch in der Krebsforschung wird die Funktion des Proteins eingehend untersucht, da die von ADAR1 katalysierte Editierung der RNA zu gefährlichen, krebsfördernden Aminosäure-Austauschen führen kann [10]. Außerdem ist ADAR1 häufig bei Brust-, Lungen-, Leber- und Speiseröhrenkrebs überexprimiert, wo es die Vermehrung von Krebszellen fördert. Somit stellt das Enzym ein vielversprechendes therapeutisches Target für neue Ansätze zur Behandlung von Krebs dar.

Während in den meisten Fällen eine erhöhte ADAR1-Expression die Entstehung und das Fortschreiten von Krebs fördert, gibt es auch einige wenige Krebsarten, die durch eine niedrige Aktivität des Proteins hervorgerufen werden. Beispielsweise haben Studien gezeigt, dass ein Verlust des ADAR1-Proteins zur Melanom-Entstehung und Metastasierung führen kann: ADAR-Enzyme können die Biogenese und Stabilität von microRNAs (miRNAs) beeinflussen. Im Zuge der Entwicklung eines Melanoms wird ADAR1 oft durch das Protein CREB („cAMP-response element binding protein“) herunterreguliert, wodurch es die Aktivität der miRNAs nicht mehr beeinflussen kann. Dazu gehört auch miR-455-5p, welche in ihrem nicht-editierten Zustand das Tumorsuppressor-Protein CPEB1 inhibiert und damit zur Melanom-Entstehung beiträgt [11].

Neben den hier erwähnten Beispielen reguliert das Protein ADAR1 auf vielfältige Weise zahlreiche weitere biochemische Prozesse in der Zelle. Forschende in unterschiedlichen Bereichen wie Immunologie, Onkologie und Virologie interessieren sich insbesondere für die Bedeutung des Enzyms bei der Immunabwehr und seine Rolle in der Entstehung verschiedener Krankheiten. Setzen auch Sie sich in Ihrer Forschung mit ADAR1 auseinander? Unser Hersteller BPS Bioscience bietet drei hochwertige Produkte an, die Sie in Ihrer Analyse dieses spannenden Proteins unterstützen!

ADAR1 Dual Luciferase Reporter HEK293 Cell Line

Die ADAR1 Dual Luciferase Reporter HEK293-Zelllinie kann genutzt werden, um die RNA-Editierungsaktivität von ADAR1 zu untersuchen. Die Zelllinie exprimiert ADAR1 unter einem CMV-Promotor und enthält außerdem ein ADAR-Editing-Reporterkonstrukt mit Genen für zwei verschiedene Luciferasen. Das Reportergen, welches konstitutiv exprimiert wird, kodiert für die Firefly-Luciferase. Danach folgt ein Gen für das ADAR-Substrat GluA2 sowie das Gen für die Renilla-Luciferase.

Die GluA2-Sequenz wurde so modifiziert, dass sie das Amber-Codon UAG enthält. Wenn dieses Stopp-Codon von ADAR1 umgesetzt wird, wird es durch den Austausch von Adenosin zu Inosin zu einem UIG, was von der Translationsmaschinerie der Zelle als ein Tryptophan (UGG) gelesen wird. Durch diese Veränderung kann die Translation bis zum Ende der Reporter-mRNA fortgesetzt werden, wodurch auch die Renilla-Luciferase exprimiert wird (Abb. 2, oben). Wird die Aktivität des ADAR1-Enzyms jedoch inhibiert, stoppt die Translation bei dem Amber-Codon und es kommt nicht zur Expression der Renilla-Luciferase (Abb. 2, unten). Diese Zelllinie dient daher dem Screening von möglichen ADAR1-Inhibitoren. Durch einen Vergleich der Expression der Firefly- und Renilla-Luciferase kann die Inhibition der ADAR1-Aktivität gemessen werden.

BPS-78547

Abbildung 2: Das ADAR1-Editing-Reporterkonstrukt der ADAR1 Dual Luciferase Reporter HEK293-Zelllinie. Oben: In Anwesenheit des ADAR1-Enzyms wird das Amber-Codon UAG zu UIG umgesetzt, wodurch die Translation bis zum Ende der Reporter-mRNA fortgesetzt und die Renilla-Luciferase exprimiert wird. Unten: Wird ADAR1 durch Inhibitoren herunterreguliert oder inaktiviert, kommt es nicht zu einer Veränderung des Amber-Codons, sodass die Translation hier stoppt und die Renilla-Luciferase nicht exprimiert wird.

ADAR1, FLAG-Tag

BPS Bioscience bietet neben der HEK293-Zelllinie auch das rekombinante Protein ADAR1 an, welches beispielsweise in Immuntherapie-Studien genutzt werden kann. Das 137 kDa schwere Protein wird in einem HEK293-Zell-Expressionssystem exprimiert und besitzt ein FLAG-Tag am N-Terminus. Bei einem FLAG-Tag handelt es sich um ein Protein-Tag, das bei der Proteinreinigung und -charakterisierung von rekombinanten Proteinen verwendet wird. Es stellt eines der spezifischsten Tags dar und kann in vielen verschiedenen Assays genutzt werden, in denen das Tag von Antikörpern erkannt und gebunden werden soll. Um nach der Reinigung das FLAG-Tag proteolytisch abzuspalten, kann zusätzlich eine Protease-Schnittstelle zwischen das rekombinante Protein und das FLAG-Tag eingefügt werden [12].

ADAR2 (ADARB1), FLAG-Tag

Obwohl bisher hauptsächlich die Rede von ADAR1 war, besteht die ADAR-Genfamilie aus drei verschiedenen Typen von ADAR-Enzymen: ADAR bzw. ADAR1, ADARB1 bzw. ADAR2 und ADARB2 bzw. ADAR3 [1]. Während ADAR3 nur im Gehirn vorkommt und einen leicht abweichenden Funktionsmechanismus hat, weisen ADAR1 und ADAR2 die gleichen funktionellen Domänen auf. Beide kommen in vielen Geweben im Körper vor und teilen ähnliche Expressionsmuster sowie Proteinstrukturen miteinander. ADAR2 nutzt ebenfalls dsRNA als Substrat, unterscheidet sich jedoch in seiner Editing-Aktivität von ADAR1 [13]. Das 78 kDa schwere, rekombinante Protein wurde durch Affinitätschromatographie aufgereinigt und besitzt ebenfalls ein N-terminales FLAG-Tag. Es kann in humanen Zellen beispielsweise im Bereich der RNA-Epigenetik eingesetzt werden.

 

Alle ADAR1-Produkte von BPS Bioscience

 

Quellen

[1] Savva, Y.A., Rieder, L.E., Reenan, R.A. The ADAR protein family. Genome Biol. 13, 252 (2012).

[2] https://en.wikipedia.org/wiki/ADAR, 14.03.2023

[3] Lamers, M., van den Hoogen, B., Haagmans, B. ADAR1: “Editor-in-Chief” of Cytoplasmic Innate Immunity. Front Immunol. 10 (2019). 

[4] Samuel, CE. Adenosine deaminases acting on RNA (ADARs) and A-to-I editing. Springer. ISBN 978-3-642-22800-1 (2012).

[5] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ADAR_reaction.jpg, 15.03.2023

[6] https://www.uniprot.org/uniprotkb/P55265/entry, 14.03.2023

[7] Samuel, CE. ADARs: viruses and innate immunity. Curr Top Microbiol Immunol. 353:163-95 (2012).

[8] https://elaev.de/leukodystrophien/arten/aicardi-goutieres-syndrom/, 14.03.2023

[9] Liddicoat, B. J. et al. RNA editing by ADAR1 prevents MDA5 sensing of endogenous dsRNA as nonself. Science. 349:6252:1115-1120 (2015).

[10] Gallo A, Galardi S. A-to-I RNA editing and cancer: from pathology to basic science. RNA Biol. 5(3):135-9 (2008).

[11] Shoshan, E., Mobley, A., Braeuer, R. et al. Reduced adenosine-to-inosine miR-455-5p editing promotes melanoma growth and metastasis. Nat Cell Biol. 17, 311–321 (2015).

[12] https://en.wikipedia.org/wiki/FLAG-tag, 14.03.2023

[13] Higuchi, M., Maas, S., Single, F. et al. Point mutation in an AMPA receptor gene rescues lethality in mice deficient in the RNA-editing enzyme ADAR2. Nature. 406, 78–81 (2000).

Preview-Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ADAR_Protein_3.png


 

Passende Artikel